Krankenhaus-Report 2020
Schwerpunkt: Finanzierung und Vergütung am Scheideweg
Jedes System der Krankenhausfinanzierung und -vergütung setzt zwangsläufig positive und negative Anreize. Auch mit dem in Deutschland 2003 eingeführten Fallpauschalensystem waren bestimmte Ziele verbunden. Das als „lernendes System“ angelegte G-DRG-System erfuhr im Laufe der Zeit eine Vielzahl von Modifikationen und Ergänzungen, die Ausgliederung der Pflegekosten ab 2020 gilt allerdings als die wesentlichste Veränderung. Ziel des Krankenhaus-Reports 2020 ist es, das Finanzierungssystem zu analysieren und Perspektiven der Weiterentwicklung aufzuzeigen.
Der Report untersucht unter anderem Anspruch und Wirklichkeit der DRG-Einführung in Deutschland, präsentiert empirische Evidenz zu den Wirkungen des G-DRG-Systems und vergleicht die Anreizwirkungen verschiedener Systeme der Krankenhausfinanzierung. Daneben werden die Vergütung in der Pflege, die Mengensterung und Gewinne im Krankenhausmarkt analysiert.
Zusätzlich thematisiert der Report die Wirksamkeit des Krankenhausstrukturfonds und die Ausrichtung der Krankenhausplanung am Patientennutzen.
Inhaltsverzeichnis
Teil I Schwerpunktthema: Finanzierung und Vergütung am Scheideweg
DRG-Einführung in Deutschland: Anspruch, Wirklichkeit und Anpassungsbedarf aus gesundheitsökonomischer Sicht
Andreas Beivers und Annika Emde17 Jahre nach der formalen DRG-Einführung in Deutschland steht das deutsche Fallpauschalensystem unter gesellschaftlichem wie politischem Druck. Die Akteure beurteilen die Bilanz der DRG-Einführung äußerst unterschiedlich. Dieser Beitrag wird die zu Beginn der DRG-Einführung gesteckten Ziele auf ihre Zielerfüllung
hin untersuchen. Dabei werden aktuelle Schieflagen und Fehlanreize beispielsweise im Bereich der Mengensteuerung, der Qualitätsmessung wie auch der intersektoralen Zusammenarbeit sowie des ungeordneten Strukturwandels imKrankenhausmarkt angesprochen und dargestellt. Es lassen sich dabei ordnungspolitisch sinnvolle Anpassungen des DRG-Systems ableiten, wie beispielsweise Ansätze zur Finanzierung der Investitionskosten, neue Möglichkeiten der ambulant-stationären Zusammenarbeit, die Finanzierung von Vorhalteleistungen und eine verstärkte Steuerung der Versorgung durch Indikationsqualität. Capitation-Modelle stellen in diesem
Zusammenhang eine zukunftsweisende Vergütungsoption dar, ebenso wie ein Appell für mehr preisliche Steuerung.
Empirische Evidenz zu den Wirkungen der Einführung des G-DRG-Systems
Ricarda Milstein und Jonas SchreyöggDas deutsche Fallpauschalensystem wurde 2000 beschlossen und ist seit 2004 das verpflichtende Vergütungssystem für alle Akutkrankenhäuser. Seit dem Ende der Budgetneutralität 2005 setzt es Anreize an die Leistungserbringung. Es sollte die Wirtschaftlichkeit, Transparenz und Effizienz des deutschen Krankenhaussystems verbessern und gleichzeitig zu einer Reduktion der Verweildauer und einem Abbau der Bettenkapazitäten führen. In den Folgejahren sank die durchschnittliche Verweildauer, aber weniger stark als zuvor. Zeitgleich verzeichnete Deutschland eine Zunahme der Fallzahlen und der Krankenhausausgaben. Derzeit sind die Auswirkungen der Fallpauschaleneinführung auf die Leistungserbringung wenig bekannt. Forschungsergebnisse konnten zeigen, dass Veränderungen auf der
Nachfrageseite eine geringe Rolle spielten. Stattdessen kommt den Veränderungen in der Angebotsstruktur als Reaktion auf Preisänderungen eine größere Rolle zu, wenngleich dieser Effekt je nach Diagnosegruppe unterschiedlich ist. Studien fanden zudem Hinweise auf Upcoding von Patienten. Der Effekt des Fallpauschalensystems auf die Krankenhauseffizienz und Qualität der Leistungserbringung ist hingegen kaum bekannt. Das Fehlen einer Kontrollgruppe erschwert die Ermittlung kausaler Effekte. Zudem wurden die meisten Studien auf Basis von aggregierten Daten erstellt und konnten nicht mit Daten außerhalb des stationären Sektors verknüpft werden. Dies schmälert ihre Aussagekraft. Das Fehlen belastbarer Untersuchungen erschwert Empfehlungen zielgerichteter, notwendiger Reformen des Fallpauschalensystems.
Systeme der Krankenhausfinanzierung
Jürgen WasemKrankenhäuser können auf unterschiedliche Weise finanziert werden. Es bestehen verschiedene Ziele, die mit der Finanzierung von Krankenhäusern verbunden werden können. Der Beitrag gibt einen knappen Überblick über die möglichen Modelle der Krankenhausfinanzierung – insbesondere Budgets, Vergütung von unterschiedlich abgrenzbaren Leistungen (Pflegetage, medizinische Interventionen, Fälle), Vergütung für Behandlungserfolg – und stellt die diskutierten Anreizwirkungen mit Blick auf die Ziele dar. Ein „optimales“ System der Krankenhausfinanzierung existiert nicht, Spannungsverhältnisse müssen ausbalanciert werden, wobei Wertentscheidungen eine zentrale Rolle zukommt.
Vergütung von spezialisierten, seltenen und kostenvariablen Fällen außerhalb des DRG-Systems: Erfahrungen aus Deutschland, Dänemark, England, Estland, Frankreich und den USA
Victor Stephani, Alexander Geissler und Wilm QuentinZiel dieses Beitrags ist es, international zu vergleichen, für welche Elemente Krankenhäuser neben DRG-basierten Vergütungen weitere (Zusatz-)Zahlungen erhalten und wie diese ausgestaltet sind. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Vergütungsmechanismen, deren Ziel es ist Variabilität abzubilden. In die Analyse wurden folgende Länder eingeschlossen: Deutschland, Dänemark, England, Estland, Frankreich, USA (Medicare Part A). Es wurde ein Fragebogen entwickelt, um standardisiert zu erheben, welche Elemente warum von der DRG-basierten Vergütung ausgenommen sind und wie diese erstattet werden. Die Ergebnisse wurden in einem Modell zusammengefasst, das dazu dient, diese Zahlungsmechanismen aus der Systemperspektive systematisch zu beschreiben, zu visualisieren und länderübergreifend zu vergleichen. Die Ergebnisse zeigen, dass alle Länder neben der DRG-basierten Vergütung zusätzliche Mechanismen zur Finanzierung implementiert haben. Meist wird eine Vielzahl von zusätzlichen Vergütungsmechanismen angewendet, die eine angemessene Vergütung für komplexe, seltene oder variable Fälle ermöglichen sollen. Die Komplexität dieser Mechanismen variiert jedoch. Während Länder wie England und Deutschland auf viele verschiedene zusätzliche Mechanismen zurückgreifen, gibt es in anderen Systemen, wie z. B. dem Medicare Programmin den USA, deutlich weniger Ausnahmen von der DRG-basierten Vergütung. Auch unterscheiden sich die Versorgungsgebiete, die von der DRG-basierten Vergütung ausgenommen sind, in Teilen deutlich. In Dänemark und England werden zudem hochspezialisierte Leistungen, die in speziell dafür ausgewiesenen Krankenhäusern erbracht werden, aus der DRG-basierten Vergütung ausgenommen bzw. es werden für diese Zuschlagszahlungen (top-up payments) gewährt. Angesichts der notwendigen und viel diskutierten Konzentration von (hoch-)spezialisierten Leistungen in Deutschland könnte eine gezielte Weiterentwicklung der Krankenhausvergütung, inspiriert durch das das dänische (oder englische) System, Anreize schaffen, um eine qualitativ hochwertige Versorgung zu gewährleisten und eine qualitätsorientierte Krankenhausplanung zu flankieren.
Potenziale prospektiver regionaler Gesundheitsbudgets am Beispiel spanischer und amerikanischer Erfahrungen
Franz Benstetter, Michael Lauerer, Daniel Negele und Andreas SchmidDie im deutschen Gesundheitssystem implementierten Vergütungssysteme sind dringend reformbedürftig. Dies gilt insbesondere für den Krankenhaussektor, in dem die Auswirkungen diverser Fehlanreize zu einer Kaskade korrigierender Eingriffe geführt haben, ohne jedoch die tiefwurzelnden Probleme grundlegend zu adressieren. Eine alternative Vergütungsform stellen prospektive regionale Gesundheitsbudgets dar. Diese basieren auf Konzepten, die dem Prinzip der Capitation folgen und nicht für einzelne Fälle oder auch einzelne Patienten, sondern für ganze Gruppen von Versicherten eine sektorenübergreifende Vergütung beinhalten. Im Idealfall wird damit die gesamte Bevölkerung einer Region abgedeckt. Die Umsetzung derartiger pauschalierter Vergütungssysteme ist herausfordernd. Deshalb stellt dieser Beitrag Erfahrungen aus Spanien und den USA dar und diskutiert Implikationen für eine mögliche Implementierung in Deutschland. Das spanische Valencia-Modell steht dabei für einen unmittelbaren und weitreichenden Systemwechsel durch die Implementierung von Modellen, bei denen der Staat eine Konzession für die regionale Versorgung an private Akteure vergibt. Der am Beispiel einer Accountable Care Organisation dargestellte Ansatz der USA verfolgt hingegen die Strategie eines Transformationspfades, der schrittweise zu einer stärkeren Pauschalierung führt und kontinuierlich auf Basis aktueller Erkenntnisse angepasst wird. Es zeigt sich, dass die Modelle zwingend für alle Beteiligten einen Zusatznutzen gegenüber dem Status quo stiften müssen, um angenommen zu werden. Auf der wirtschaftlichen Ebene müssen die Risiken adäquat abgesichert werden, ohne dabei die gewünschten Anreize auszuhebeln. Gleichzeitig müssen wirksame Vorkehrungen getroffen werden, die Unterversorgung verhindern und positive Qualitätsanreize schaffen.
Weiterentwicklungsperspektiven des G-DRG-Systems
Norbert Roeder, Wolfgang Fiori und Holger BunzemeierDas deutsche G-DRG-System hat durch konsequente Weiterentwicklung einen weltweit einmaligen Differenzierungsgrad erreicht. Der Preis dafür ist eine ausgeprägte Komplexität des Fallgruppensystems selbst und der begleitenden Regelungen zum Einsatz des Systems in der Krankenhausfinanzierung. Die Erreichung der mit einer leistungsgerechten Krankenhausfinanzierung verfolgten Ziele sollte kritisch reflektiert und evaluiert werden. Die Weiterentwicklung sollte die Komplexität des Systems reduzieren und sicherstellen, dass versorgungsrelevante Krankenhäuser auch zukünftig ihre Leistungen auf qualitativ hohem Niveau wirtschaftlich erbringen können. Dabei ist insbesondere die Finanzierung von versorgungsnotwendigen Vorhaltungen sicherzustellen, die nicht über eine hohe Auslastung refinanziert werden können. Mit diesem Beitrag sollen Probleme der bestehenden DRG-Konzeption beschrieben und Vorschläge für ihreWeiterentwicklung skizziert werden.
Reformschwerpunkt Pflege: Pflegepersonaluntergrenzen und DRG-Pflege-Split
Wulf-Dietrich Leber und Charlotte VogtIm Bereich der Krankenhausversorgung ist der Bereich Pflege gleich zweifach Gegenstand zentralerReformvorhaben des Gesetzgebers: Zum ersten gelten seit 2019 für ausgewählte Krankenhausbereiche verbindliche Pflegepersonaluntergrenzen, zum zweiten werden ab dem Budgetjahr 2020 die Pflegepersonalkosten aus den
DRG-Fallpauschalen ausgegliedert und in Form eines Pflegebudgets nach dem Selbstkostendeckungsprinzip refinanziert. Die beiden Reformen ändern die Rahmenbedingungen für die Krankenhäuser erheblich und sind mit einer Vielzahl von Umsetzungsvereinbarungen zwischen der Deutscher Krankenhausgesellschaft und dem GKV-Spitzenverband verbunden. Der Artikel stellt dar, dass Pflegepersonaluntergrenzen ein sinnvoller Beitrag zum Patientenschutz sind, und plädiert dafür, Untergrenzen mittelfristig für alle Stationen festzulegen. Kritisch hingegen wird der sogenannte DRG-Pflege-Split (auch „Pflexit“) gesehen. Diese Maßnahme dürfte dazu beitragen, dass Pflegekräfte wegen der vollen Refinanzierung der Kosten wieder vermehrt pflegeferne Tätigkeiten ausüben. Zur Ablösung des Selbstkostendeckungsprinzips werden Alternativen zur Bestimmung des Pflegebudgets diskutiert. Diese bedürfen einer Erfassungssystematik für Pflegebedarf und Pflegeleistungen. Gleiches gilt für die Pflegepersonaluntergrenzen, die bislang ohne Berücksichtigung des individuellen Pflegebedarfes der Patienten festgesetzt werden. Damit die Abbildung der Pflege im Rahmen der Qualitätssicherung und der Krankenhausvergütung nicht zu zusätzlichem bürokratischem Aufwand führt, bedarf es dringend einer digitalen Pflegedokumentation, aus der aufwandsarm die notwendigen Informationen abgeleitet werden können.
Auswirkungen der Personalkostenvergütung auf die Prozesse im Krankenhaus
Julia Oswald und Holger BunzemeierMit der Struktur des Krankenhausfinanzierungssystems werden geplante und nicht geplante Anreize für Krankenhäuser gesetzt, Kosten und Erlöse zu steuern. Mit einem Personalkostenanteil von über 60% an den Gesamtkosten liegt dabei der Schwerpunkt auf den Personalkosten. Eine Folge davon kann eine kosten- und
erlösbezogene Personalsteuerung und damit eine qualitative Veränderung der patientenbezogenen Versorgungsprozesse sein. Der Beitrag ordnet die Personalkostenvergütung in die G-DRG-Vergütungssystematik ein. Er beschreibt die Entwicklung des Personaleinsatzes bzw. der Personalkosten seit Einführung des fallbezogenen, preisbasierten Finanzierungssystems, die politischen Reaktionen auf die praktizierte erlösorientierte Personalsteuerung sowie die erwarteten Auswirkungen einer tagesbezogenen, kostenbasierten Pflegevergütung gemäß PpSG auf die Leistungen und Kosten der Versorgungsprozesse sowie auf die Erlössituation der Krankenhäuser. Davon abgeleitet wird der finanzierungssystemabhängige Handlungsbedarf des einzelnen Krankenhauses und es wird dargestellt, welche Rahmenbedingungen das Krankenhausmanagement für eine interne Personalsteuerung systemunabhängig schaffen muss, damit die Qualität der Versorgungsprozesse sichergestellt ist. Die datengestützte Diskussion greift die Erfahrungen in der Praxis mit auf.
Vorschläge für eine auf die Bedürfnisse der Patienten ausgerichtete Mengensteuerung
Matthias BäumlPatienten können die Wirkung einer vorgeschlagenen medizinischen Behandlung durch einen Leistungserbringer oftmals nicht genau einordnen, sodass Leistungserbringer über die Bedürfnisse der Patienten hinausmedizinische Behandlungen anbieten können. Eine zukunftsorientierte Mengensteuerung sollte vor diesem Hintergrund sicherstellen, dass sich die beobachtete Art und Menge von medizinischen Behandlungen so genau wie möglich an den tatsächlichen Bedürfnissen der Patienten orientieren. Die Instrumente der aktuellen Mengensteuerung können dieses Ziel nicht erreichen. Eine Weiterentwicklung der Zweitmeinung kann die Informationsasymmetrie zwischen Leistungserbringern und Patienten effektiv reduzieren. Zusätzlich kann eine Weiterentwicklung der Kategorisierung der Fallgruppen bzw. der Berechnung der Relativgewichte ungewollte finanzielle Anreize für die Leistungserbringer deutlich reduzieren. Für eine informierte und zukunftsorientierte Mengensteuerung ist es außerdem wichtig, dass der Gesetzgeber auch in Deutschland sicherstellt, dass die relevanten patientenbezogenen Informationen mit einer zeitlich adäquaten Verfügbarkeit zum Wohle der Patienten genutzt werden können (z. B. zur Möglichkeit eines rechtzeitigen Angebots zur Zweitmeinung). Die Vorschläge zur Weiterentwicklung wären kurzfristig (innerhalb von 1–2 Jahren) umsetzbar.
Gewinne im Krankenhaus
Boris AugurzkyDieser Beitrag diskutiert Gewinnerzielung im Krankenhausbereich aus ökonomischer Perspektive. In einer Volkswirtschaft ist Gewinnerzielung ein wichtiger Motor des Fortschritts und stetiger Effizienzverbesserungen. Wettbewerb sorgt dafür, dass daraus entstehende Unternehmensgewinne begrenzt und mit den Nachfragern geteilt werden. Aufgrund der Besonderheiten im Gesundheitswesen sind jedoch auch negative Effekte von Gewinnerzielung grundsätzlich denkbar. Eine staatlich verordnete Obergrenze für Gewinne im Krankenhausmarkt wäre aber nicht nur administrativ schwer umsetzbar, sondern würde auch unerwünschte Nebeneffekte zeitigen. So würde der Anreiz zum effizienten Einsatz von knappen Ressourcen zurückgehen. Privates Kapital würde sich aus dem Gesundheitswesen zurückziehen und damit die Investitionstätigkeit abnehmen. Ungeklärt bliebe überdies, wie mit der Gewinnerzielung von anderen Gesundheitsunternehmen umgegangen werden müsste, z. B. Praxen, Medizintechnik-, Pharmaunternehmen, Apotheken. Will man Gewinne begrenzen, sollten Qualitätstransparenz gefördert und gegebenenfalls sogar ein Preiswettbewerb in Erwägung gezogen werden. Unerwünschte Nebenwirkungen sollten durch Anpassungen am Vergütungssystem begrenzt werden. Wenn beispielsweise die bestehenden Vergütungssysteme das Sektorendenken zementieren, sollten sektorenübergreifende Vergütungsmodelle in Betracht gezogen werden. Ein Ansatz dazu könnten Capitation-Modelle sein.
Vergütung und Qualität: Ziele, Anreizwirkungen, internationale Erfahrungen und Vorschläge für Deutschland
Reinhard Busse, Helene Eckhardt und Max GeraedtsDer Beitrag befasst sich mit der Frage, wie sich das Vergütungssystem zur Qualität der Patientenversorgung verhält bzw. wie diese über das Vergütungssystem befördert werden kann. Vor dem Hintergrund verschiedener Ziele von Vergütungssystemen wird analysiert, wie stark die Anreize in verschiedenen Vergütungsformen zur Qualitätsverbesserung der Versorgung sind. Sodann werden Möglichkeiten der Vergütungsmodifikation mit dem expliziten Ziel der Qualitätssicherung bzw. -verbesserung betrachtet und in ein Modell eingeordnet. Entsprechende „Pay-for-quality“-Programme in neun europäischen Ländern werden dargestellt und ein systematischer Review zu deren Effektivität und Kosten-Effektivität kurz zusammengefasst. Der Beitrag endet mit konkreten Vorschlägen für Deutschland, wie Qualitätstransparenz, die Indikations-, Struktur-, Prozess- bzw. Ergebnisqualität durch Vergütungsmodifikationen auf der Ebene des einzelnen Falls, aller Fälle mit der gleichen Diagnose bzw. allen Fällen eines Krankenhauses verbessert werden kann – und wie weit Deutschland auf diesem Weg bereits ist.
Investitionsfinanzierung und ineffiziente Krankenhausstrukturen
Christopher Hermann und Nadia MussaIm Juni 1999 verabschiedeten die damaligen Koalitionsfraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen Gesetzentwurf, der die Krankenhausversorgung umfassend reformieren sollte. Endlich sollte der über Jahrzehnte diskutierte Strukturwandel eingeläutet werden. Vom Gesetzesbeschluss wurden im Laufe des weiteren Verfahrens nur Teile umgesetzt. Seitdem folgten unzählige Änderungen, die eine Fülle von Detailregelungen enthielten. Von der ursprünglichen Vision – Akteure der Krankenhausversorgung sollen auf Augenhöhe den Krankenhausmarkt bedarfsgerecht und qualitätsorientiert gestalten – blieb jedoch wenig übrig. Viele aktuell diskutierte Probleme, wie Fehlentwicklungen in der Krankenhausversorgung, chronische Unterfinanzierung der Investitionsbedarfe und ineffiziente Krankenhausstrukturen, ergeben sich aus dem fehlenden Mut der politischen Verantwortungsträger, eine Gesamtkonzeption und Vision der Krankenhausversorgung der Zukunft auf den Weg zu bringen. Deutschland investiert zu wenig in die Krankenhausinfrastruktur. Während die hausgemachten Probleme weiterhin nicht gelöst sind, ergeben sich aufgrund demografischer Entwicklungen, medizinisch-technischen Fortschritts, ökologischer Herausforderungen und den Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz und molekularer Medizin ganz neue Herausforderungen für das Gesundheitswesen. Es ist an der Zeit, die vielen vorhandenen Ideen und Regulierungsvorschriften in ein stimmiges Gesamtbild zu überführen und den Investitionsbedarf der Krankenhäuser anhand eines Zielbilds der Krankenhausversorgung der Zukunft sachgerecht zu ermitteln und bedarfsgerecht zu finanzieren. Auf diese Weise sollte der Strukturwandel gelingen und Patientinnen und Patienten im Krankenhaus durchgehend mit angemessener Qualität und Effizienz behandelt werden können.
Sektorenübergreifende Versorgung und Vergütung
Martin Albrecht, Tamir Al-Abadi, Thomas Czihal und Sandra MangiapaneImmer mehr Patientenbehandlungen können sowohl ambulant als auch stationär durchgeführt werden, werden aber je nach Behandlungsort sehr unterschiedlich vergütet. So beträgt die Vergütung der stationären Behandlung eines Patienten mit leichteren Herzrhythmusstörungen – je nach Aufenthaltsdauer – das 2,6- bis 7-Fache derjenigen einer ambulanten Behandlung. Ursache hierfür ist die Existenz von zwei separaten Vergütungssystemen, die sich konzeptionell und in ihrer Systematik stark voneinander unterscheiden. Eine ungenügende Ausschöpfung des ambulanten Behandlungspotenzials und fehlende Leistungsgerechtigkeit der Vergütung gelten als Folge dieser sektoralen Trennung. In der gesundheitsökonomischen Diskussion wird daher zunehmend gefordert, die Vergütungen zu vereinheitlichen. Die Schaffung eines sektorenunabhängigen Vergütungssystems stößt jedoch auf eine ganze Reihe offener Fragen, die im vorliegenden Beitrag diskutiert werden.
Anreize und Weiterentwicklungsperspektiven der Vergütung von Psychiatrie und Psychosomatik unter der Berücksichtigung von Modellverhaben
Roman Kliemt und Dennis HäcklMit dem Krankenhausfinanzierungsreformgesetz (KHRG) wurden seit 2009 die Weichen für ein neues, die tagesgleichen Pflegesätze ablösendes Vergütungssystem gestellt. Das neue Vergütungssystem (PEPP) sollte leistungsorientiert und pauschalierend sein, stieß aber in seiner ursprünglichen Ausgestaltung auf enorme Kritik und Widerstände seitens der Fachverbände, sodass zum einen die verbindliche Einführung mehrfach verschoben wurde und zum anderen mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung derVersorgung undVergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen (PsychVVG) eine Neuausrichtung der Rahmenbedingungen
erfolgte. Parallel dazu besteht seit 2012 die Möglichkeit, Modellvorhaben nach § 64b SGB V abzuschließen. Der Beitrag gibt einen Überblick über die legislative Entwicklung und die bestehenden Regelungen des neuen Entgeltsystems in der stationären Versorgung, der Vergütung psychiatrischer Institutsambulanzen (PIA) und der Modellvorhaben. Es werden die krankenhausseitigen Anreizmechanismen der Patientenversorgung dargestellt und die empirische Evidenz aus bestehenden Studien skizziert. Abschließend erfolgt eine Gegenüberstellung der Modellvorhaben gegenüber PEPP und es wird ein Ausblick auf den Fortgang beider Systeme gegeben.
Perspektiven der Finanzierung und Vergütung der medizinischen Rehabilitation in Deutschland
Günter NeubauerDie medizinische Rehabilitation in Deutschland ist insgesamt gut aufgestellt, führt aber gleichwohl in der Gesundheitsversorgung ein Dasein als Aschenputtel. Sowohl die Angebotsseite wie die Nachfrageseite sind trotz entsprechender gesetzlicher Gebote im SGB IX wenig koordiniert. Vor allem die Finanzierungs- und Vergütungsmodalitäten sind immer noch historisch bestimmt. Insbesondere das Zusammenwirken der beiden großen Trägergruppen der Rehabilitation – der Krankenkassen und der regionalen Organisationen des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) – sollte intensiviert werden. Hinzu kommt als neue Aufgabe die Rehabilitation von Pflegebedürftigen. Für diese ist bislang keine adäquate Finanzierungform gefunden worden. Der Vorschlag, die Pflegeversicherung in die Finanzierung einzubinden, findet jedoch zunehmend Gehör.
Die Vergütung für Rehabilitationsleistungen erfolgt wenig differenziert nach normierten Behandlungstagen. Innerhalb einer Indikation gibt es so gut wie keine Differenzierung der Patientinnen und Patienten, obwohl Instrumente für eine Differenzierung nach Schweregrad durchaus verfügbar sind. Die Einführung einer fallbezogenen Vergütung auch in der Rehabilitation ist über Pilotprojekte nicht hinausgekommen. Ohne staatliches Eingreifen dürfte die Diskussion auch in der nächsten Zeit nicht vorankommen.
Teil II Zur Diskussion
Krankenhausfinanzierung und -vergütung als politisches Handlungsfeld
Nils C. Bandelow, Johanna Hornung und Lina Y. IskandarKrankenhauspolitik ist von Zielkonflikten zwischen verschiedenen staatlichen Ebenen, Parteien, Akteuren der Selbstverwaltung, Krankenhausträgern, Krankenhausbeschäftigten und Patienteninteressen geprägt. Diese sind auf unterschiedlichen Ebenen in die aktuellen Diskussionen um Fallpauschalen im Besonderen
und Krankenhausfinanzierung und -vergütung im Allgemeinen eingebunden. Der Beitrag beleuchtet das für die Krankenhauspolitik relevante institutionelle Gefüge des kooperativen Föderalismus und die darin eingebetteten Akteurskonstellationen im Hinblick auf ihre Interessen und die Möglichkeiten, diese Interessen durchzusetzen. Wie sind die politischen Entwicklungen der letzten zehn Jahre und die aktuelle Situation aus politikwissenschaftlicher Perspektive zu bewerten? Inwiefern kooperieren oder blockieren sich die beteiligten Akteure und politischen Ebenen? Welche Reformalternativen versprechen effiziente Steuerung und Konfliktminimierung unter Berücksichtigung aller Interessen? Diese Bestandsaufnahme resultiert in einem politikwissenschaftlichen Ausblick mit Empfehlungen und Forschungsanreizen zur zukünftigen Finanzierungs- und Vergütungsgestaltung in der Krankenhauspolitik.
Fördermittel aus dem Krankenhausstrukturfonds – Anstoß zur dauerhaften Strukturveränderung?
Boris Augurzky, Dörte Heger, Anne Mensen und Adam PilnyUm auf die anstehenden Herausforderungen in der Gesundheitsversorgung vorbereitet zu sein, setzt der Gesetzgeber mithilfe des Strukturfonds gezielt Anreize zu dauerhaften Verbesserungen der Krankenhausstruktur in Deutschland, insbesondere durch den Abbau von Überkapazitäten sowie die Konzentration von Kapazitäten. Dieser Beitrag liefert länderspezifische Angaben zur Aufteilung der bisher bewilligten Fördermittel zum 31. Dezember 2018 und deren Verteilung auf die einzelnen Förderarten. Ferner wird kritisch beleuchtet, ob und inwieweit die Länder ihre Investitionsfinanzierung infolge des Strukturfonds anpassen. Auf Basis von Soll- und Ist-Zahlen der Landeshaushalte wird die Höhe der Krankenhausinvestitionsausgaben ab 2016 mit den durchschnittlichen Fördervolumina von 2012 bis 2014 sowie dem Volumen von 2015 verglichen.
Paradigmenwechsel in der Krankenhausplanung – hin zu Leistungs-, Bedarfs- und Qualitätsorientierung für einen höheren Patientennutzen
Justus Vogel, Philipp Letzgus und Alexander GeisslerDie Ziele der Krankenhausplanung sind in Deutschland klar definiert. So soll die Krankenhausplanung eine qualitativ hochwertige, patienten- und bedarfsgerechte Versorgung durch wirtschaftlich leistungsfähige Krankenhäuser sicherzustellen. Der derzeit in allen Bundesländern in Deutschland angewendete traditionelle Planungsansatz wird diesen Zielen nicht mehr gerecht. Dieser Planungsansatz stützt sich auf Fachgebiete zur Leistungsabgrenzung, auf eine undifferenzierte Anwendung der Hill-Burton-Formel zur Bedarfsabschätzung und nur selektiv auf Qualitätsvorgaben zur Zuteilung von Versorgungsaufträgen. In diesem Beitrag wird
ein neuer Planungsansatz vorgestellt, dem eine detaillierte, medizinisch-hierarchisch aufgebaute Leistungsgruppensystematik zugrunde liegt (Leistungsorientierung). Diese wird verwendet, um eine transparente Bewertung der aktuellen Versorgungssituation vorzunehmen und eine differenzierte Bedarfsprognose unter quantitativer Berücksichtigung relevanter Einflussfaktoren durchzuführen (Bedarfsorientierung). Schließlich wird eine Methodik zur Entwicklung von Qualitätsvorgaben je Leistungsgruppe vorgestellt (Qualitätsorientierung). Der Beitrag schließt mit dem Entwurf eines Planungsprozesses, der die leistungs-, bedarfs- und qualitätsorientierte Krankenhausplanung in die Praxis überträgt.
Teil III Krankenhauspolitische Chronik
Krankenhauspolitische Chronik
Dirk Bürger und Martina PurwinsDer Deutsche Bundestag, dessen Abgeordnete im Ausschuss für Gesundheit, das Bundesgesundheitsministerium, die Landesgesundheitsminister und der Bundesrat setzen jährlich neben den gesundheits- auch die krankenhauspolitischen Rahmenbedingungen. Die Gesundheitsexperten der Parteien, diverse Verbände, die (Sozial-)Gerichtsbarkeit und Bundesbehörden sowie politiknahe und wissenschaftliche Institute prägen dabei die öffentliche Diskussion um diese Regelungen. Die Selbstverwaltungspartner auf Bundesebene nutzen die ihnen übertragenen vertraglichen Freiräume, um die medizinische und pflegerische Versorgung in den Krankenhäusern weiterzuentwickeln. Mit der „Krankenhauspolitischen Chronik“ liegt eine Übersicht über alle wesentlichen Entscheidungen der Akteure der deutschen Gesundheits- und Krankenhauspolitik vor und informiert über die Aktivitäten in den vergangenen 15 Monaten.
Teil IV Daten und Analysen
Die Krankenhausbudgets 2017 und 2018 im Vergleich
Corinna Hentschker, Gregor Leclerque und Carina MostertDer Beitrag untersucht die Veränderungen in den jährlich zu vereinbarenden Budgets der Jahre 2017 und 2018 auf Basis von 1.240 somatischen Krankenhäuser. Deren Budgets (ohne Berücksichtigung von Ausgleichen) sind um 3,1% gestiegen, was einem Mittelzuwachs von etwa 1,9Mrd. Euro entspricht. Der Budgetanstieg bewegt sich damit im gleichen Rahmen wie im Vorjahr. Budgeterhöhend hat sich dabei erneut vor allem die Preisentwicklung ausgewirkt. Die Mengenentwicklung hingegen trägt nur geringfügig zum Budgetanstieg bei. Tatsächlich weisen die Fallzahlen erstmals sogar einen leichten Rückgang auf; dass die Mengenentwicklung dennoch – wenngleich in geringem Maße – budgeterhöhend wirkt, liegt an entsprechenden strukturellen Änderungen. Fortgesetzt hat sich die Tendenz zu deutlich späteren Verhandlungen und Genehmigungen der AEBs. Gemessen am Gesamtbudgetvolumen wurde 2018 nur knapp 40% unterjährig umgesetzt.
Fallpauschalenbezogene Krankenhausstatistik: Diagnosen und Prozeduren der Krankenhauspatienten auf Basis der Daten nach § 21 Krankenhausentgeltgesetz
Jutta SpindlerMit den DRG-Daten nach § 21 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) steht den Nutzerinnen und Nutzern im Rahmen des Angebots des Statistischen Bundesamtes seit dem Jahr 2005 neben den Grund- und Kostendaten und den Diagnosedaten der Krankenhäuser eine weitere wichtige Datenquelle zur Verfügung. Gegenstand dieses Beitrags sind zentrale Ergebnisse zur stationären Versorgung des Jahres 2018, die das Informationsspektrum der herkömmlichen amtlichen Krankenhausstatistik ergänzen und erweitern. Im Vordergrund stehen die Art und Häufigkeit durchgeführter Operationen und medizinischer Prozeduren sowie die Darstellung wichtiger Hauptdiagnosen, ergänzt um ihre jeweiligen Nebendiagnosen auch unter fachabteilungsspezifischen Gesichtspunkten der vollstationär behandelten Krankenhauspatientinnen und -patienten. Ausgewählte Ergebnisse zum erbrachten Leistungsspektrum der Krankenhäuser, insbesondere zur Art und zum Umfang der abgerechneten Fallpauschalen (DRGs), den Hauptdiagnosegruppen (MDCs) sowie zum Casemix (CM) und Casemix-Index (CMI) werden in diesem Beitrag ebenfalls dargestellt.
Teil V Krankenhaus-Directory
Krankenhaus-Directory 2018: DRG-Krankenhäuser im Vergleich
Carina Mostert und Andreas PritzkauDas Directory deutscher Krankenhäuser bietet eine jährlich aktualisierte Übersicht stationärer Leistungserbringer. Die Darstellung umfasst unter anderem Informationen zur Struktur des vereinbarten Leistungsangebots, zum Grad der Spezialisierung, zur regionalen Marktpositionierung und Wettbewerbssituation sowie Informationen zur Ergebnisqualität nach dem Verfahren Qualitätssicherung mit Routinedaten (QSR). Insgesamt finden mehr als 1.300 Krankenhäuser Eingang, zu denen eine Budgetvereinbarung für das Jahr 2018 oder QSR-Behandlungsergebnisse vorliegen.